Wonder Women

Woooow! Ich bin hin und weg, begeistert, adrenalinberührt- ich kenn grad kein anderes Wort, diesen Zustand besser zu umworten. Nach einem Osteopathietermin in Zürich schlendere ich so was von entspannt Richtung HB. Eigentlich würde der nächste Zug nach Solothurn in drei Minuten fahren, doch es wäre schade um meine grad zellentiefe Entspannung, wenn ich jetzt aufs Gleis sowieso hetzen würde. So kauf ich mir noch was zum schnabulieren und habe vor, noch ein wenig am HB herumzusumsen, bevor ich dann in den 19.30 Zug steige.

Doch genau- ich hatte ja schon bei der Ankunft am HB gesehen, dass die Weltklasse Zürich in der grossen Halle stationiert ist. Erst jetzt aber realisiere ich, dass da tatsächlich gerade der Stabhochsprungwettbewerb der Frauen stattfindet. Ich such mir ein Plätzchen an der ‚Reling‘ und schaue gespannt auf die erste Frau, die sich gerade auf ihren Sprung vorbereitet und von einer von ihr gewählten Musik hochgepeitscht wird.

Vom ersten Augenblick an bin ich voll in den Bann gezogen von diesen Wesen. Ich fühle mit ihnen, spüre ihre Anspannung, ihre unglaubliche Konzentration, ihren totalen Fokus auf den jetzigen Moment; Ich spüre, wie sie vibrieren, ich spüre die Kraft ihres Körpers, ihrer Seele und wie die zwei auf unglaubliche Weise zusammenspielen. Ich fiebere bei jeder mit und juble, wenn es eine über die Stange schafft. Diese unglaubliche Perfektion, diese Aesthetik, dieses Kunststück, das die Frauen da vollbringen! Wie Superwomen fliegen sie über die Stange!

Bei jeder einzelnen sehe ich diese Aura, diese Kraft und Präsenz in ihrem Wesen. Diese Entschlossenheit. Ich sehe ihr Selbstbewusstsein, ihre innere Stärke. Ich sehe die Geschmeidigkeit und die Eleganz ihrer grossgewachsenen Körper. Ja, auch so können wir gemeint sein! Und ich sehe, wozu ein perfektes Zusammenspiel zwischen Körper und Bewusstsein fähig ist. Wonderwomen eben! Herausragen! Sich nicht abbringen lassen von etwas. Alles setzen auf eine Sache. Alles geben. Fokussiert sein. Stark sein. Und gleichzeitig soo weiblich sein! Ich bin faszinwomanisiert! Und ich spüre, wie ich beim Hin- und Weglaufen zum Gleis ganz selbstverständlich gerader, aufgerichteter, majestätischer schreite; wie gut es mir getan hat, diese grossen Frauen zu bewundern und diesen Teil nun auch in mir zu stärken.

Wie gern passen wir uns doch an im Alltag, um nicht auf- oder sogar durchzufallen bei der Bewertung anderer. Und wie schnell bewerten wir andere, wenn sie herausragen. Na, wenn man/frau herausragt, dann gibt es auch etwas zum Schauen, zum Bewerten oder Bewundern, etwas, das anders, vielleicht grösser ist und einem zeigt, wie es auch sein könnte, wohin es gehen könnte.

Es hat mich sehr berührt, diese Frauen zu bewundern, ihnen zuzuschauen, weil sie mich daran erinnert haben, zu welch grossen Taten wir alle fähig sind, wenn wir etwas wirklich wollen und uns darauf fokussieren, uns von nichts abbringen lassen und mutig genug sind, über uns und andere hinauszuwachsen und zu leuchten mit dem, was wir sind und was wir tun. Deshalb: ein dreifaches Hoch auf alle Wonderwomen und Wondermen, die uns zeigen, was in uns steckt!

Das Alltagsmorgensyndrom- oder: carpe horem

Hei, wie wundertoll; da steh ich am Montagmorgen mit meinem Liebsten um sechs Uhr auf, wir eilen zur Bushaltestelle- nicht ohne den Weg dahin auszukosten– am flüsternden Wildbach entlang, und einen Moment inne haltend am urheiligen Kastanienbaum- um uns dann in den Bus zu setzen, den ich an einem Arbeitstag auch nehme und so Teil zu werden der grauen Masse der Arbeitnehmer, die irgendwohin fahren, um die Arbeit nach dem Wochenende eben wieder aufzunehmen. Aber Halt! –drücken !- diesmal steig ich beim Postplatz aus – strecke allen metaphorisch noch die Zunge raus und intoniere grad ein paar Ohs und Ahs, als wir beim Aaremüürli entlang schlendern, beim Landhüsli stoppen und da unseren Cappuccino bestellen und ihn dann geniessen, zusammen mit der gerade aufgehenden Sonne, der stillen Aare und der mystischen Gutenmorgenmontagstimmung.

Maaagisch ist das! Wir verfallen in eine Sonnenmeditation und spüren so grosse Dankbarkeit für diesen Moment. Und das, nachdem ich fast fünf Jahre lang- beim morgendlichen Vorbeifahren in besagtem Bus neidisch auf die Frühmorgengäste geblickt hatte, die schon spärlich da gesessen und die Sonne genossen hatten- während ich zur Arbeit fuhr. Oft seufzte ich innerlich und verschob mein Morgenaaremüürlikaffee auf Momente in der Zukunft, in denen ich in meiner erfolgreichen Selbstständigkeit so weit über meine Zeit verfügen könne, um eben selbstermächtigt auch zu dieser Gruppe Auserkorener zu gehören. Aber dann- letzte Woche- als ich mich wieder diesem neidischen Moment hingeben wollte- parierte eine innerliche, etwas genervte Stimme meinen Anfall mit einem trockenen ‚Warum machst du das nicht jetzt schon, du hast ja am Montagmorgen Zeit?’….. Mmmmhh, ich fühlte mich ertappt und war auch belustigt, denn darauf war ich selbst nie gekommen.

So sitze ich nun seit bald fünf Stunden im Landhüsli und geniesse diesen stinknormalen Montag und habe das Gefühl, ausserhalb der Ferien schon lange nicht mehr so entspannt die Woche gestartet zu haben.

Dann, nachdem mein Sitzleder langsam nervös geworden war- na, ja, so gar nichts tun an einem arbeitsamen Montag!-  und mein Liebster noch nicht daran dachte, den Platz an der Sonne zu verlassen, machte ich mich auf, die Stadt in dieser speziellen Morgenstimmung wahrzunehmen. Wie gemütlich zart und freudig sind die Gassen um diese Zeit! Wie sonnig ist das Gemüt derer, die durch die Strassen schlendern! Wow, sie ist ja da, diese Parallelwelt, die die Waage hält zu allen Tunnelblick- und Hamsterradzeitgenossen! Und wow, ich bin gerade Teil davon! Und so hätte es schon lange sein können, denn der Montag ist tatsächlich keiner der Tage, an denen ich zwingend verschmelzen muss mit den fleissigen Ameisen. Doch irgendwie haben mich meine Zellen wahr haben wollen, dass es schicklicher sei, zu Hause ins Hamsterrad zu steigen und auf irgendeine abstruse Art den Gott der Arbeit, des Geldes und der Anstellung zu huldigen, der einem innerlich belohnt, wenn man Dinge abarbeitet- und wenn es ‚nur’ Tätigkeiten sind wie waschen, bügeln, putzen, Rechnungen zahlen, Unterricht vorbereiten.

So sitze ich hier und bin- während des Geniessens und Dankbarseins für diese Momente- nebst mir selbst auch noch meine ganze Ahnenreihe am beruhigen und sie davon am überzeugen, dass einfach Sein genauso viel Wert hat wie Tun.

Und falls du, der du diese Zeilen liest, gerade auch etwas von diesem nagenden Gefühl mit ‚N’ spürst, weil du eben am Montagmorgen arbeitest, dann bitte sei es eben nicht, dieses ‚n’, sondern mach dich auf die Suche nach deinen Momenten in all deinen Tagen –in deinen Alltagen eben. Welch magische Zeitpausen gibt es bei dir, die du noch nicht entdeckt hast, und die es zu zelebrieren gäbe? Ist es vielleicht mal ein Abendkaffee im SBB Restaurant auf der Heimfahrt? Oder einen Zug später nach Hause und noch am Fluss entlang schlendern? Ich bin sicher, es gibt auch bei dir diese Augenblicke, wo die Zeit gern stoppen würde für dich und du in den Stundenferienmodus schalten könntest. Und ich bin überzeugt: wenn das immer mehr Menschen machen, fügt das dem kollektiven Hamsterrad unwiderbringlich Schaden zu. Denn in diesen magischen Zeitmomenten steckt so viel Lebensfreude verborgen, die sich epidemisch auf unser Leben auswirken würde und uns immer mehr den Weg zu noch mehr solchen Momenten zeigen würde. Und: in der trägen Arbeitsmasse, die sich allmorgendlich in den ÖVs zeigt, gäbe es plötzlich mehr und mehr fröhliche Farbpunkte, denn wer kann schon grau da sitzen, wenn er immer mehr bunte Zeitperlen in seinem Leben angelt, und das zu Momenten, wo grauer Alltag zu erwarten wäre?

Darum, sei mutig, steig auch mal aus dem Bus und hinein ins Leben! Oder eben: pflücke die Alltagsstunden!